Hamburg, 29. März 2017

Fakten zum Einkaufszentrum im südlichen Überseequartier der HafenCity

Vorbemerkung:

Unibail-Rodamco-Westfield will bis zum Jahr 2022 im südlichen Überseequartier Norddeutschlands größtes Einkaufszentrum bauen. Geplant sind 80.500 Quadratmeter Bruttogeschossfläche des Einzelhandels, entsprechend 68.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, mehr als 11.000 Quadratmeter Gastronomie und über 11.000 Quadratmeter Entertainment, unter anderem ein Multiplex Kino. Insgesamt soll ein multifunktionales Shopping-Center mit rund 100.000 Quadratmetern Publikumsfläche entstehen. Dieses Vorhaben gleicht in Größe und Struktur den beiden größten deutschen Stand-Alone-Shopping-Centern „Centro“ in Oberhausen und „Ruhrpark“ in Bochum, die ebenfalls von Unibail-Rodamco bewirtschaftet werden. Allein die geplante Einzelhandels-Verkaufsfläche im Shopping-Center im südlichen Überseequartier von 68.000 qm entspricht rund einem Fünftel der gesamten Verkaufsfläche des innerstädtischen Hamburger Einzelhandels.

Die grundsätzlich bereits getroffene politische Entscheidung zur Realisierung des südlichen Überseequartiers ist also von großer Tragweite für die künftige Entwicklung der Hamburger Innenstadt. Deshalb ist es geboten, die wichtigsten Fakten aufzulisten, um die Tragweite der Entscheidung deutlich zu machen.

Das geplante Shopping-Center im südlichen Überseequartier ist in mehrfacher Hinsicht ein absoluter Fremdkörper in der Hamburger Innenstadt und in der HafenCity. Städtebaulich entsteht ein vom innerstädtischen Geschäftszentrum räumlich und funktional abgekapseltes „Paralleluniversum“:

  • Allein die Größe des Einkaufszentrums sprengt die Maßstäbe eines nachhaltigen, der Nachfrageeintwicklung angemessenen Verkaufsflächenwachstums. Dies läßt sich am Beispiel der Entwicklung der Einkaufspassagen in der Hamburger Innenstadt nachvollziehbar demonstrieren: In der gewachsenen City sind seit 1980 (Hanse-Viertel) bis 2005 (Europa-Passage), also in einem Zeitraum von 25 Jahren, rund 10 Ladenpassagen gebaut worden, die den innerstädtischen Einzelhandel bereichert und die Lagen vernetzt haben.Vor allem aber haben sie sich mit ihrer jeweiligen Größe harmonisch in die Geschäftslagen eingepaßt. Alle Passagen zusammen verfügen mit ihrem Einzelhandel über nicht mehr als 13 Prozent der gesamten Einzelhandels-Verkaufsfläche der Innenstadt. Das Shopping-Ceter im südlichern Überseequartier kommt mit einem Verkaufsflächen-Anteil von 20 Prozent des gesamten innenstädtischen Einzelhandels auf nahezu die doppelte Größe der Innenstadt-Passagen zusammen – und dies mit einem Schlag und nicht etwa in einem längeren, der Marktentwicklung angemessenen Zeitraum. Mit rund 200 Ladeneinheiten wird das Shopping-Center über mehr Geschäfte verfügen als Möckebergstraße und Spitaler Straße zusammen.Mit knapp 70.000 qm Verkaufsfläche ist das Shopping-Center im südlichen Überseequartier nahezu ebenso groß wie die beiden größten Hamburger Bezirkszentren Altona und Harburg und größer als die Bezirkszentren Bergedorf und Wandsbek-zentrale Standorte, die über Jahrzehnte zu ihrer gegenwärtigen Größe gewachsen sind.
  • Die Größe des Shopping-Centers wird in der amtlichen Begründung mit der Notwendigkeit einer für den Geschäftserfolg des Einkaufszentrums notwendigen „kritischen Masse“ an Einzelhandelsfläche gerechtfertigt. Die Planung orientiert sich mithin am Beitreiberinteresse von Unibail-Rodamco und nicht an städtebaulichen Kriterien.
  • Die dem Bebauungsplan-Entwurf zugrunde liegende Wirkungsanalyse von GfK GeoMarketing 2015/2016 ist in wesentlichen Teilen ungenügend. Seit März 2016 liegt öffentlich die „Wirkungsanalytische Voreinschätzung Shopping-Center im Überseequartier Hamburg“ von bulwiengesa vor, die mit nachvollziehbarer Begründung zu deutlich höheren Umsatzumverteilungen im modischen Bereich zu Lasten der gewachsenen Innenstadt kommt.
  • Inzwischen ist zudem die „Plausibilitätsprüfung der Gutachten Überseequartier HafenCity, Hamburg von GfK und der Wirkungsanalytischen Voreinschätzung ShoppingCenter im Überseequartier von bulwiengesa“ durch das Gutachterbüro Stadt + Handel veröffentlicht worden. Diese Studie verwirft die Ergebnisse der GfK Wirkungsanalyse ebenfalls und spricht dieser Wirkungsanalyse die Eignung als ein die städtebaulich relevanten Auswirkungen des Einzelhandels im südlichen Überseequartier bewertendes Gutachten ab. Stadt + Handel geht ebenso wie bulwiengesa davon aus, dass die Umsatzumverteilung in der Sortimentsgruppe Bekleidung, Lederwaren, Schuhe mehr als 10 Prozent zulasten des innerstädtischen Mode-Sortiments betragen wird. Wenn man die Umverteilungsprognose von GfK ihrer Phantasiezahlen über die Tourismus-Nachfrage entkleidet, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Einzelhandel im Shopping-Center des südlichen Überseequartiers rund 80 Prozent seiner Umsätze zulasten anderer Hamburger Einzelhandelsstandorte, vor allem der City,erwirtschaften muss.
  • Die Shopping-Mall von Unibai-Rodamco wird also nach seriösen gutachterlichen Bewertungen 120 bis 150 Millionen Euro Einzelhandelsumsatz unmittelbar aus der City abziehen. Dies ist mehr als der gesamte kumulierte Umsatzzuwachs des innerstädtischen Einzelhandels in den vergangenen 10 Jahren.Weitere bis zu 150 Millionen Euro wird das Shopping-Center durch den Griff in die Ladenkassen anderer Einzelhandelsstandorte in und um Hamburg abzweigen, insgesamt also 80 Prozent Umverteilung zu Lasten anderer Geschäftszentren.Und dies alles in einem Marktumfeld, in dem der Ladeneinzelhandel Jahr für Jahr steigende Marktanteile an den Online-Handel verliert. Im Modebereich, also dem Kernsortiment der Innenstadt, fließt inzwischen jeder 5.Umsatz-Euro in den Online-Handel, bis 2026 soll der Online-Anteil auf 36 Prozent steigen. Der nach gutachterlichen Einschätzungen zu erwartende Umsatzverlust des innerstädtischen Einzelhandels von bis zu 15 Prozent wird sich ungleich verteilen. Verlierer werden vor allem die schwächeren Lagen sein. Damit wird ein positiver städtebaulicher Entwicklungsprozeß der jüngeren Vergangenheit zunichte gemacht. Der innerstädtische Einzelhandel wächst seit ein paar Jahren – in jüngerer Vergangenheit sogar beschleunigt – an seinen Rändern: Alter Wall, Stadthausbrücke, Großer Burstah markieren solche organische Wachstumsprozesse. Der bestehende Einzelhandel erweitert sich gleichsam um neue Jahresringe, er öffnet damit Verbindungen zu bisher abseits der Kundenströme liegenden Quartieren und belebt sie. Dieser positiven Entwicklung wird bei der Realisierung der vorliegenden Planungen für das südliche Überseequartier für die Zukunft die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Vergleichbares gilt für innerstädtische Restrukturierungsfälle wie den „Hamburger Hof“, die „Gänsemarkt-Passage“ und das „Hanse-Viertel“. Auch diese Planungen werden auf den Prüfstand gestellt werden müssen – zum Nachteil der gewachsenen Innenstadt.
  • Der sogenannte Wind- und Wetterschutz des Shopping-Centers mit Überdachung und – teilweiser - Schließung von Eingängen macht das Einkaufszentrum in seiner Wirkung und Wahrnehmung zu einer geschlossenen Mall. Das seit der Verabschiedung des Masterplans HafenCity immer wieder beschworene Ziel eines offenen Einkaufsquartiers wird ad absurdum geführt. Zur Wirkung und Wahrnehmung des Shopping-Centers als geschlossene Mall tragen neben der – überdimensionierten - Größe der Einzelhandelsverkaufsflächen wesentlich auch die geplanten Gastronomie- und übrigen Dienstleistungsangebote sowie die projektierten Unterhaltungseinrichtungen bei. Es entsteht eine autarke, Urbanität vorspiegelnde Kunstwelt neben der authentischen Innenstadt.
  • An einem Austausch mit benachbarten Quartieren ist ein Shopping-Center kraft Geschäftsmodell nicht interessiert. Diese Einkaufseinrichtungen sind nach innen orientiert. Sie ziehen Besucher an und halten sie mit attraktiven, abwechslungsreichen und breit gefächerten Angebots- und Unterhaltungseinrichtungen möglichst lang in den eigenen Vier Wänden.Der frühere Geschäftsführer von Unibail-Rodamco Germany, Karl Reinitzhuber, hat diese Geschäftsphilosophie so beschrieben:“Wir schaffen einen Aufenthaltsraum, wo Menschen gerne ihre Zeit verbringen möchten“, und der Geschäftsführer des Shopping-Center-Betreibers HBB (Hanseatische Baubetreuungs- und Beteiligungsgesellschaft), Harald Ortner, bringt es so auf den Punkt:“ Es geht darum, Besucherströme anzuziehen und diese dann im Haus zu halten“. Von dem geplanten Shopping-Center wird daher nicht einmal das Geschäftszentrum im nördlichen Überseeqaurtier profitieren. Die beschworenen „Überschwapp-Effekte“ sind eine Fiktion.
    Dies gilt erst recht für die von der Politik erwünschte städtebauliche Verbindung zwischen Überseequartier und gewachsener Innenstadt über die sog. Domachse. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Verbindung als städtebauliche Fiktion, um nicht zu sagen, als städtebauliche Illusion.Zwischenzeitlich ist dieser Befund der Stadt auch gutachterlich bescheinigt worden: Das Gutachterbüro CIMA Beratung + Management GmbH kommt in seiner jüngst veröffentlichten Analyse der Domachse zu folgendem Schluß: „Aufgrund der Länge der Strecke, der städtebaulichen Situation, der verkehrlichen Belastung an diversen Kreuzungspunkten und des aktuellen Besatzes in den Erdgeschoßlagen wird sich auch mittel- und langfristig keine klassische Laufwegeverbindung (Flanier- oder Shopping- und Freizeitmeile, Boulevard oder ähnliches) im Sinne eines durchgehenden Besatzes mit Handel, Gastronomie bzw. anderen frequenzstarken Nutzungen erreichen lassen“, und CIMA schlußfolgert weiter, dass Einzelhandelsbesucher, die zum Einkaufen in die Stadt kommen, sich künftig entweder für den einen oder den anderen Standort entscheiden werden.
  • Einen durch nichts als das Investoreninteresse zu begründeten Eingriff bedeutet die geplante Höherlegung – in Wirklichkeit der Einzug – der San-Francisco-Straße. Unibail-Rodamco hat diese Maßnahme laut Protokoll über die öffentliche Plandiskussion am 07. Dezember 2015, Seite 12, zur Bedingung seines Engagements gemacht, um im sogenannten Warft-Geschoss eine unmittelbare räumliche Verknüpfung zwischen Kreuzfahrtterminal und Einkaufszentrum unter der San-Francisco-Straße hindurch herstellen zu können (Seite 43 der Begründung des Bebauungsplans HafenCity 15). Die Zerstörung einer Wege- und Blickverbindung zur Elbe von Norden nach Süden im Interesse von Unibail-Rodamco lässt sich nicht zuletzt für die Forderung instrumentalisieren, der Senat möge gemäß Paragraf 4 des Hamburgischen Gesetzes zur Regelung der Ladenöffnungszeiten von seiner Ermächtigung Gebrauch machen, die Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen des Einzelhandels unmittelbar an Anlegestellen des Schiffsverkehrs zu ermöglichen. Ohne die Unterquerung der San-Francisco-Straße durch das Untergeschoss des Shopping-Centers wäre diese vom Gesetzgeber geforderte „Unmittelbarkeit“ nicht gegeben.

Fazit:

Die Entscheidung der Stadt für eine Shopping-Mall im südlichen Überseequartier ist eine stadtentwicklungspolitische Fehlentscheidung mit weitreichenden nachhaltigen negativen städtebaulichen Folgen. Die Umverteilungswirkungen des Einkaufszentrums zulasten des innerstädtischen Einzelhandels werden dessen Substanz masssiv schädigen und seine Entwicklungschancen gravierend beeinträchtigen.

Hamburg, 29. März 2017
Heinrich Grüter