Was wird aus Hamburg? Eine Badeanstalt für die Binnenalster

Jean Jaques de Chapeaurouge und Nicole C. Unger vom Trägerverbund Projekt Innenstadt auf dem Jungfernstieg

Kaum ein Thema bewegt die Hamburger so wie die Lage ihrer Innenstadt: Was wird  aus der City, wenn das Überseequartier eröffnet? Wie wird der Jungfernstieg wieder zum Boulevard
der Stadt? Und welche Ideen bringen Alt- und Neustadt nach vorne? Nicole C. Unger von NCU Immobilien Concept und Jean Jaques de Chapeaurouge, Geschäftsführer der HPE Hanseatische Projektentwicklung, kennen die City wie wenige andere. Sie hat ihr Büro in der Poststraße, er an der Große Johannisstraße.
Als Vorstände des „Trägerverbunds Projekt Innenstadt“ sind sie eine entscheidende Stimme in der Debatte, wohin die City steuert. In dem Verband hatten sich 1984 Gewerbetreibende und Immobilienbesitzer zusammengeschlossen. Schon bei den fünf Fragen (siehe rechts) im Podcast „Was wird aus Hamburg?“ zeigt sich, wie sich das Denken ändert. Beide wollen ein Parkhaus abreißen.

Manche Parkhäuser können abgerissen werden

„Das sind die alten Fehler der Charta von Athen und der autogerechten Stadt“, sagt Chapeaurouge. „Jetzt sind wir dabei, die Städte wieder zu Menschenstädten umzubauen.“ Es gebe ausreichend Parkplätze in der City, viele Parkhäuser seien nicht mehr ausgelastet. „Das liegt aber auch daran, dass die Erreichbarkeit der Innenstadt durch den jetzigen Senat konterkariert wird.“

Die Verkehrspolitik ist ein Problem, das den Mitgliedern des Trägerverbunds unter den Nägeln brennt. Im Mittelpunkt steht dabei das „unabgestimmte Verhalten“ der Verkehrsbehörde: „Eigentümer werden vor vollendete Tatsachen gestellt, Mieter können nicht rechtzeitig reagieren, und am Ende drohen wirtschaftliche Verluste bis hin zur Pleite“.

Der Vorsitzende des Trägerverbunds kritisiert etwa die Verkehrsberuhigung des Jungfernstiegs: „Der Jungfernstieg ist der Knochen, an dem Hamburg gewachsen ist. Wenn man ein verkehrspolitisches Ziel erreichen will, aber die Stadtentwicklung dabei aus den Augen verliert, produziert man Widersprüche.“

Auch Unger ärgert bis heute, dass die Stilllegung des Boulevards nicht zwischen den Behörden abgestimmt war. „Die Sperrung kam für uns überraschend und zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, nämlich zwei Monate vor Weihnachten 2020 und in der Pandemie, als viele lieber mit
dem Auto fuhren.“

Die stellvertretende Vorsitzende weiter:
„Zu oft steht nicht das Interesse der Stadt, sondern eher das Parteiinteresse im Mittelpunkt.
Kaum jemand hat sich über die Konsequenzen für den Verkehr und den Einzelhandel Gedanken gemacht. Vielleicht ist das der Politik auch egal.“

Ein zusätzliches Problem sieht der Interessenverband im Baustellenverkehr – denn der Hamburger Hof wird bald umgebaut.
Dieser Verkehr müsse über den Jungfernstieg fließen, sonst könne dort nicht gebaut werden. „Manchmal denke ich, ich bin in Schilda“, kritisiert Chapeaurouge.
Er fordert „ein ganzheitliches Verkehrskonzept“ für die Metropole. „Die Innenstadt ist das Herz der Stadt, und dieses Herz hat verschiedene Funktionen – soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche.
Deswegen muss sie jeder im Großraum Hamburg gut erreichen. Das scheint mir noch nicht ganz im Rathaus angekommen zu sein.“
Der Vater dreier erwachsener Kinder geht noch weiter: „Ich glaube, dass die Politik zum Teil nicht begriffen hat, dass Hamburg eine Bürgerstadt ist, in der die Menschen mitreden möchten. Die Bürger haben die größeren Stiftungen, die Museen, die Kirchen errichtet. Wir haben ein
anderes Selbstverständnis als ein Untertan in Berlin.“
Manches habe sich im Vergleich zu früher zum Negativen verändert, sagt der Spross einer Hanseatenfamilie, die über Jahrzehnte Politik in Hamburg gemacht hat. „Die klassischen großen Sozialdemokraten, die diese Stadt ganz wesentlich geprägt haben, haben immer sehr gut zugehört, bevor sie agiert haben.“ Für den Jungfernstieg wünscht sich der Trägerverbund einen langsam laufenden Individualverkehr wie in der Oxford Street in London mit höchstens 25 Stundenkilometern, daneben einen sauber abgetrennten Fahrradbereich und große Cafés auf den Bürgersteigen.

„Menschen auf den Straßen verlangsamen automatisch den Verkehr.
Im Augenblick mutiert der Jungfernstieg wie der Rathausmarkt leider zu einer Art zentralem Omnibusbahnhof.“
Beide machen Vorschläge, wie es besser funktionieren könnte: „Im Verband hatte sich die Mehrheit dafür ausgesprochen, die vierte Baumreihe statt auf der Wasserseite vor den Häusern zu pflanzen und die Fußwege zu verbreitern, um Platz für Bummler, Cafés und Außengastronomie zu bekommen“, sagt Unger. Das Alsterhaus habe provisorisch ein Café eröffnen wollen. „Das hat das Bezirksamt abgelehnt mit der Begründung, es dürfe kein Kaffeewagen auf dem Weg stehen.“

Irgendjemand habe immer Bedenken. „Wir haben als Eigentümer und Anlieger am Jungfernstieg vernünftige große Beete gefordert, weil wir Verdunstungsflächen brauchen. Das endete mit fünf Blumentöpfen“, ärgert sich Chapeaurouge.
Zunehmend Sorge macht vielen Eigentümern und Geschäftsinhabern die Verwandlung des Jungfernstiegs in eine Partyzone:
„Das Thema Belebung des Jungfernstieg findet derzeit nur in der Nacht statt. Dann haben wir auch gewaltbereite Jugendliche, die aus den schwächeren Stadtteilen und anderen Kulturräumen kommen und sich dort austoben. Ich bekomme mit, dass viele Bürger abends den Jungfernstieg fluchtartig verlassen,“ sagt Chapeaurouge, dessen Vorfahren einst aus Genf einwanderten.
Die kunstbegeisterte Immobilienexpertin wünscht sich, dass mehr Kulturveranstaltungen
den Jungfernstieg aufwerten. Zudem hofft sie auf eine Neuvergabe des Alsterpavillons, um dort die Außengastronomie für diese Anlässe auszubauen.
„Das Thema der Verwahrlosung öffentlicher Räume betrifft leider fast alle deutschen Städte“, sagt Chapeaurouge. Die Hamburger Polizei sei willens, aber sie brauche die Unterstützung der Politik.
„Wir benötigen Maßnahmen, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Wir haben ein echtes Thema mit Randständigkeit und Bettelei –das ist massiv mehr geworden.“

Das könne auch am 9-Euro-Ticket liegen:
Da die Stadt Hamburg benachteiligte Menschen besser behandele als viele andere Metropolen, habe es im vergangenen Sommer einen Zuzug gegeben. „Das sieht man dann am Hauptbahnhof und in der Innenstadt.“
Der Vorsitzende des Trägerverbandes schlägt vor, das Züricher Modell auch in Hamburg anzuwenden, das in festen Unterbringungen Drogenabhängige rund um die Uhr versorgt. Chapeaurouge lobt das Engagement des Bezirksamtsleiters Ralf Neubauer. Aber seine Maßnahmen blieben angesichts von inzwischen 5000 bis 6000 Betroffenen ein Tropfen auf den
heißen Stein. „Wir müssen uns endlich mit diesen Fragen gesellschaftspolitisch auseinandersetzen und klare Grenzen aufzeigen, was Menschen machen dürfen und was nicht.“
Beide wollen die Stadt nicht schlecht reden.
„Hamburg bleibt für Investoren attraktiv, auch weil wir ein sehr stabiles Mietpreisniveau für Büros und Geschäfte haben“, lobt Unger. „Wir stehen mit den städtischen Vertretern in einem engen Austausch.“

Große Hoffnungen setzen beide in die Aktivierung der Plätze, wo sich die Stadt ehrgeizige Ziele gesetzt hat. „Wir haben Kultureinrichtungen, die diese Plätze wunderbar bespielen könnten. Warum zeigen wir dort nicht die Schätze der Kunsthalle, statt sie in den Archiven zu
verstecken?“, fragt Chapeaurouge. In Paris würden Werke des Louvre auch in UBahnen präsentiert.

Skeptisch ist er beim Burchardplatz, der eine steinerne Freifläche werden soll: „Es wäre schön, dort ein bisschen mit Natur mit Grün zu arbeiten, Verschattungen zu ermöglichen. Die Stadt muss menschengerecht sein, nicht denkmalgerecht.“
Unger lobt die Achse, die vom Rathausmarkt in die HafenCity führen soll. Nun wird der alte Katharinenweg als Fußgängerzone aufgewertet, sodass man vom Rathaus über das Commerzbank-Areal zur Katharinenkirche und weiter in die HafenCity gelangen kann.

„Da pflanzen wir fast 40 Bäume im Quartier neu und schaffen Aufenthaltsqualität“,
verspricht Unger. Zugleich könnten sich Cafés und Restaurants besser
präsentieren. „Dieses Viertel hat durchaus französisches Flair.“ Das Gleiche könnte später an der Mönckebergstraße oder rund um den Gertrudenkirchhof passieren.
„Private Eigentümer stecken ihr Geld in diesen öffentlichen Grund, sonst würde die Innenstadt nicht so gut aussehen“, sagt Unger und verweist darauf, dass in den letzten 15 Jahren über Business Improvement Districts mittlerweile über 100 Millionen geflossen seien.

Immer wieder kommt das Thema auf die Bürokratie. „Die deutsche Bürokratie wächst weiter: Heute ist vieles unmöglich, was vor 30 Jahren noch leicht umsetzbar war“, sagt Chapeaurouge. Wichtig wäre beispielsweise, dass die Behörden den Immobilienbesitzern mehr Umnutzungen
ermöglichen: „Es kann nicht sein, dass wir bei jeder Maßnahme das gesamte Feuerwehrkonzept
verändern oder das Baurecht neu beantragen müssen. Das verhindert den Umbau der Städte.“

Wie Behörden Wohnraum in der Innenstadt verhindern

Er verweist auf einen Investor, der auf seinem Kontorhaus Wohnungen errichten wollte mit der Möglichkeit, diese später umzuwidmen. „Das hat die Bauaufsicht nicht zugelassen. Also sind die Wohnungen gar nicht entstanden“, erzählt Unger.

Im Baurecht sieht er eines der Hauptprobleme. „Wir haben rund um die Binnenalster im Schnitt 34 Meter hohe Giebel. Die dürften wir heute gar nicht ohne Weiteres mehr bauen, weil bei 22 Metern die Hochhausgrenze liegt“, klagt Chapeaurouge.
Wer höher baut, braucht Sprinkler, Feuerwehrnetze. „Das ging so bei einem Haus so weit, dass die Feuerwehr verlangt hat, einen Tank mit 500.000 Liter Wasser einzubauen, mit eigenem Wassersystem und Generator. Wir behindern uns bürokratisch bis zum Tode.“

Ein Fehler liege im System: „Der Bezirk Mitte ist zuständig für unterschiedlichste Stadtteile von Billstedt bis St. Pauli. Es ist mühsam, das alles unter einen Hut zu bekommen.
Eigentlich müssten wir die Innenstadt herauslösen und einen eigenen Bezirk mit der HafenCity schaffen, quasi wie Washington D.C.“, sagt Chapeaurouge.

Statt einer Innenstadtkoordinatorin hätte sich die Geschäftswelt einen Innenstadtbeauftragten
in der Senatskanzlei gewünscht: „Frau Pahl-Weber ist wahnsinnig nett und bemüht, aber ihr fehlen die Durchgriffsrechte.“
Aber was ist mit den Grundeigentümern – müssten diese nicht ihre mitunter überhöhten Renditeerwartungen zurückschrauben?
Chapeaurouge verweist darauf, dass die Vermieter oft Pensionskassen oder Lebensversicherungen sind, die wegen der Grundrendite investiert hätten.
„Da muss man sehr vorsichtig rangehen, weil man sonst sozialen Schaden anrichten
kann.“
Unger und de Chapeaurouge haben viele Ideen für eine attraktivere Innenstadt. Unger schlägt vor, die alten Kaufhäuser umzubauen und dort das Haus der digitalen Welt unterzubringen. Auch Universitäten seien ein wichtiger Frequenzbringer.
„Warum muss alles in die HafenCity? Hier haben wir wunderbare bestehende Gebäude – das wäre ökologischer und klüger.“
Das Überseequartier macht dem Trägerverbund keine Angst. „Wir müssen diese Investition als Chance begreifen: Das ist ein hoch innovatives Konzept“, sagt Chapeaurouge.
Deshalb werde es noch wichtiger, dass die Verbindungsachsen in die HafenCity funktionierten.
„Es wäre ein großer Wurf, diese Ost-West-Achse wirklich zu überplanen und dort beispielsweise
Wohnungen zu bauen.“

Chapeaurouge, der Stadtentwicklung und Architektur als seine Hobbys bezeichnet, führt den Gedanken weiter aus: „Auf dem Domplatz könnte ich mir eine Kombination aus Museum für Kunst und Gewerbe und dem Haus der digitalen Welt gut vorstellen, damit wir so etwas hinbekommen wie das Centre Pompidou. Das wäre einmalig in Deutschland. Das Museum für Kunst und Gewerbe wackelt jetzt ohnehin, weil dort die S-Bahn gebaut werden soll.“ Sein dringender Appell: „Wir dürfen uns nicht verzwergen, wir müssen groß denken.“ Und er wirft noch einen Stein ins Wasser und schlägt eine Badeanstalt an der Binnenalster an der Ecke Lombardsbrücke/Ballindamm vor. „In Luzern können sie auch vom Hotel über die Straße direkt in den See hopsen – warum nicht bei uns?“

Hamburg, 14.Juli 2023
Mathias Iken